Nutzungsausfall ohne Ersatzbeschaffung. Habe ich Anspruch auf Nutzungsausfall, wenn ich mir kein Ersatzfahrzeug anschaffe?

Antwort von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Martin Vogel , Schwerin

Die Frage, ob der Geschädigte Nutzungsausfall bei einem Totalschaden auch dann beanspruchen kann, wenn ein Ersatzfahrzeug nicht oder nicht zeitnah anschafft, ist umstritten. Voraussetzung für den Nutzungsausfall ist ein Nutzungswille und eine Nutzungsmöglichkeit. Am einfachsten wird der Nutzungswille durch die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges dokumentiert und muss im übrigen bewiesen werden. Einige Gerichte vermuten ihn auch. Nutzungsmöglichkeit setzt voraus, dass der Geschädigte das Fahrzeug überhaupt hätte nutzen können. Dies scheidet aus, wenn der Geschädigte infolge seiner Verletzungen oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage war, während der Dauer des Nutzungsausfalls das Fahrzeug überhaupt zu nutzen Und auch kein Dritter ( zum Beispiel Ehepartner oder Kinder ) hätte das Fahrzeug nutzen können. In jedem Falle ist der Nutzungsausfall auf die Dauer der vom Gutachter vorausgeschätzten Wiederbeschaffung beschränkt. Nachfolgende Gerichte sprechen dem Geschädigten Nutzungsausfall auch dann zu, wenn ein Ersatzfahrzeug nicht angeschafft wird, im übrigen aber Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit bestanden hat:

Kammergericht, NZV 2004,417

Das Fahrzeug der Kl. zu 1) war infolge des Verkehrsunfalls vom 2. 3. 2001 nicht fahrfähig und nicht verkehrssicher. Die Gesamtkosten zur Wiederherstellung des Fahrzeuges lagen über den Kosten für eine Ersatzbeschaffung. Aus technisch-wirtschaftlicher Sicht lag ein Totalschaden vor. Mithin steht der Kl. zu 1) die der Höhe nach unstreitige Nutzungsausfallentschädigung für 14 Tage zu.
Entgegen der vom LG in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Rechtsansicht ist die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges keine Voraussetzung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung...

OLG Düsseldorf, NZV 2003,379

Nutzungsausfallentschädigung kann der Geschädigte auch dann verlangen, wenn er sich kein neues Fahrzeug anschafft und das beschädigte Fahrzeug nicht repariert; beides spricht noch nicht gegen Nutzungsmöglichkeit und Nutzungswillen

LG Braunschweig NZV 2006,41

Die Nutzungsausfallentschädigung soll die Vermögenseinbuße ausgleichen, die dem Verletzten durch den unfallbedingten Verzicht auf die Verfügbarkeit über sein Unfallfahrzeug entstanden ist. Ein solcher unfallbedingter Verzicht liegt auch dann vor, wenn kein Ersatzfahrzeug angeschafft und keine Reparatur durchgeführt wurde. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben, dies spricht jedoch nicht gegen eine generelle Nutzungsmöglichkeit und einen Nutzungswillen des Verletzten. Die Tatsache, dass der Kl. zum Zeitpunkt des Unfalles über ein Fahrzeug verfügte, beweist bereits, dass er einen grundsätzlichen Nutzungswillen hatte. Allein die Tatsache, dass ein Ersatzfahrzeug nicht zeitnah angeschafft wurde, beseitigt nicht den Nutzungswillen. Hierzu müsste die Bekl. weiteres vortragen und gegebenenfalls unter Beweis stellen. Dies ist jedoch nicht erfolgt, so dass von einem generellen Nutzungswillen weiter ausgegangen werden kann. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der sog. Nutzungsausfallschaden bereits in dem Moment vorliegt, in dem der Wagen beschädigt wird und nicht mehr benutzt werden kann. Wenn aber im vorübergehenden Fortfall der Benutzbarkeit der eigentliche Vermögensschaden bereits entstanden ist (so BGHZ 40, 345,349 ), kann eine gesetzlich nicht geregelte Frist ohne Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles nicht zum Ausschluss der Ansprüche führen. Dementsprechend hat hier der Kl. auch den Anspruch auf Zahlung der Nutzungsausfallentschädigung.

LG Oldenburg, Urteil vom 08.04.1999 - 4 S 1330/98 LSK 1999, 270609=ZfS 1999, (Ls.):

1. Erwirbt der Geschädigte erst ein halbes Jahr nach dem Unfallereignis ein Ersatzfahrzeug, läßt dies den Schluß auf einen fehlenden Nutzungswillen des Geschädigten und die Versagung der Nutzungsausfallentschädigung nicht zu. Die Erfahrung spricht für den Benutzungswillen, wäre der Unfall nicht eingetreten.

2. Grundsätzlich beschränkt sich der Anspruch auf Zahlung der Nutzungsausfallentschädigung auf die für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung notwendige Zeit. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Geschädigte finanziell nicht in der Lage ist, ein Ersatzfahrzeug zu erwerben und daher einen Vorschuß benötigt. In diesem Falle steht dem Geschädigten Nutzungsausfall für einen längeren Zeitraum nur dann zu, wenn er den ihm zustehenden Vorschuß gefordert hat, aber trotz rechtzeitiger Aufforderung nicht erhält.
Während die Instanzen-Rechtsprechung durchaus uneinheitlich ist, ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes seit den sechziger Jahren eindeutig:

BGH, Urteil vom 30.09.1963 - III ZR 137/62 (München) NJW 1964, 542:

Für den vorübergehenden Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftwagens hat der Ersatzpflichtige Entschädigung in Geld auch dann zu leisten, wenn der Geschädigte sich für diese Zeit einen Ersatz wagen nicht beschafft hat.

BGH, Urteil vom 15.04.1966 - VI ZR 271/64 (Celle) NJW 1966, 1260:

Der VI. Zivilsenat stimmt dem Urteil des III. Zivilsenates BGHZ 40,345 = NJW 64,542 zu, dass der Ersatzpflichtige für den vorübergehenden Verlust der Gebrauchsfähigkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch dann eine Entschädigung zu leisten hat, wenn sich der Geschädigte einen Ersatzwagen nicht beschafft hat.

Eingeschränkt hat der Bundesgerichtshof den Nutzungsausfall nur dann, wenn der Geschädigte aus unfallbedingten Gründen oder unfallunabhängigen Gründen das Fahrzeug hätte ohnehin nicht nutzen können, zum Beispiel weil er unfallunabhängig krank oder unfallabhängig verletzt war.

BGH, Urteil vom 07.06.1968 - VI ZR 40/67 (Celle) NJW 1968, 1778:

Für den vorübergehenden Verlust der Gebrauchsfähigkeit eines Kraftfahrzeuges braucht der Ersatzpflichtige keine Entschädigung zu leisten, wenn der Geschädigte den Wagen in der Reparaturzeit nicht hätte nutzen können. Das gilt auch dann, wenn er an der Nutzung aus unfallabhängigen Gründen (hier: Bettlägerigkeit infolge der Unfallverletzungen) gehindert war (Ergänzung zu BGHZ 45, 212 = NJW 66,1260).

Im Jahr 2008 hat der Bundesgerichtshof erneut bekräftigt, das eine Nutzungsausfallentschädigung eben keine Ersatzbeschaffung voraussetzt.

BGH, Urteil vom 10.06.2008 - VI ZR 248/07 (OLG Frankfurt/M, r + s 2008, 352

Nach diesen Kriterien hat der Ersatzpflichtige für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kfz grundsätzlich auch dann eine Entschädigung zu leisten, wenn sich der Geschädigte einen Ersatzwagen nicht beschafft hat. Wie oben dargelegt, ist die Verfügbarkeit eines Kfz innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens grundsätzlich geeignet, Zeit und Kraft zu sparen, so dass die dadurch gewonnenen Vorteile als „Geld” zu betrachten sind.

Dem folgt auch der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.06.2008 - VI ZR 248/07 gleich www.Bundesgerichtshof.de). Der Bundesgerichtshof führt zu dieser Problematik auszugsweise folgendes aus:

".... Die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeuges stellt nach allgemeiner Rechtsauffassung grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Verfügbarkeit des Fahrzeuges innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen, um damit das Fortkommen im allgemeinen Sinn zu fördern .... Nach diesen Kriterien hat der Ersatzpflichtige für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeuges grundsätzlich auch dann eine Entschädigung zu leisten, wenn sich der Geschädigte einen Ersatzwagen nicht beschafft hat." Wie oben dargelegt, ist die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeuges innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens grundsätzlich geeignet, Zeit und Kraft zu sparen, so dass die dadurch gewonnenen Vorteile als "Geld" zu betrachten sind. Auch hat der Geschädigte finanzielle Mittel zur Anschaffung und Haltung des Fahrzeuges eingesetzt, um den damit verbundenen "geldwerten" Vorteil zu erreichen ...."

Obwohl ausreichend Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage des Nutzungsausfalls ohne Ersatzbeschaffung vorliegt, ignorieren noch zahlreiche deutsche Gerichte dessen Rechtsprechung, vermutlich aus Unkenntnis.

Haben Sie Fragen zum Nutzungsausfall ohne Ersatzbeschaffung, Ihren Ansprüchen nach einem Verkehrsunfall oder generell zum Verkehrsrecht, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Martin Vogel in Schwerin der richtige Ansprechpartner. Tel.: 0385-565506/16