Kann gegen den Willen eines Elternteils das Wechselmodell werden?

Antwort von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Martin Vogel, Schwerin

Gesetzliche Ausgangslage: § 1626 BGB

§ 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.

Das Gesetz selbst hat sich nicht auf ein bestimmtes Modell (Residenzmodell: Kind lebt bei einem Elternteil und hat Umgangsrecht mit dem anderen Elternteil ) festgelegt. In seiner Grundsatzentscheidung vom 1.2.2017 – XII ZB 601/15 hat der Bundesgerichtshof auszugsweise im Leitsatz folgendes ausgeführt:

1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.

2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus..... Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.

3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.

4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes.

In Erweiterung und Anwendung dieser entsprechenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Oberlandesgericht Bamberg in einem Verfahren zwischen zwei zerstrittenen Elternteilen ein paritätisches Umgangsmodell angeordnet und zwar auch gegen den Willen der Mutter, die auch jegliche Kommunikation über das Jugendamt mit dem Vater ablehnte. Der Wunsch beider Kinder war die Einführung eines paritätischen Wechselmodells. Nach der Anhörung von Gutachtern und des Jugendamtes hatte das Amtsgericht noch den Umgang zu 5/9 zwischen den Eltern verteilt. Auf die entsprechende Beschwerde des Vaters hinwurde das paritätische Wechselmodell eingeführt mit folgender Begründung ( OLG Bamberg,Beschluss vom 1.3.2019 – 7 UF 226/18 ):

a).........
b) Für die vom Familiengericht getroffene Regelung – eine Betreuung etwa im Verhältnis 5 / 9 – ist nach Beurteilung der Gutachter hingegen bereits ein Maß an Kommunikation und Kooperation notwendig, welches die Fähigkeiten und die Bereitschaft der Eltern hierzu übersteigt. Mit den dadurch entstehenden Konflikten ist eine Belastung der Kinder verbunden, die für diese aufgrund der bei ihnen vorhandenen Ressourcen allerdings noch verkraftbar ist.
Vorteil dieser Lösung, die von den Eltern seit Oktober 2018 praktiziert wird, wäre, dass sie von der Mutter mitgetragen wird. Jedenfalls hat sie gegen die Entscheidung vom 1.10.2018 keine Beschwerde eingelegt. Allerdings entspricht eine derartige Regelung erkennbar nicht dem Willen der Kinder.
Nach den Ausführungen der Sachverständigen aber führt eine gerichtliche Regelung, die sich über den von A. und B. erklärten Willen hinwegsetzt, zu einer zusätzlichen Belastung der Kinder im Sinn des Erlebens einer Selbstunwirksamkeit. Eine Schwächung der Selbstwirksamkeit wiederum hat regelmäßig negative Auswirkungen auf die psychische Entwicklung. Als mögliche Folge nennen die Gutachter beispielsweise depressive Verstimmungen.
Auch der Senat ist davon überzeugt, dass vorliegend eine den Kindeswillen ignorierende Entscheidung zu einer Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls der Kinder führt und daher nicht ihrem Wohl entspricht. Es wäre den 11 und 10 Jahre alten Kindern nur schwer zu vermitteln, warum man sie im Lauf des Verfahrens zwar mehrfach anhört, sich letztlich aber dennoch über ihren klar formulierten Willen hinwegsetzt.
Grundsätzlich kommt dem Willen des Kindes mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit vermehrt Bedeutung zu. Nur dadurch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbständigem Handeln Rechnung getragen wird, kann erreicht werden, dass ein Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann .
c) Nach Überzeugung der Sachverständigen wird sich durch eine künftig paritätische Betreuung der Kinder – also im Verhältnis 7 / 7 – das notwendige Maß an Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern nicht in einer für die Entscheidung erheblichen Weise erhöhen. Der Konflikt der Eltern würde sich durch die Ausweitung des Umgangs demnach nicht weiter verschärfen, die Belastung der Kinder dementsprechend nicht weiter erhöhen.
Gegen diese Regelung spricht, dass die Antragsgegnerin damit nicht einverstanden ist. Sie befürchtet mehr Abstimmungsaufwand und deswegen mehr Konflikte. Der entscheidende Vorteil dieser Lösung ist, dass sie dem Willen der Kinder entspricht.

Haben Sie Fragen zur Einführung des paritätischen Wechselmodells, zu Fragen der Regelung des Umgangs generell oder zum Sorgerecht, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Martin Vogel, Schwerin der richtige Ansprechpartner.