Unterhalt: Bundesfreiwilligendienst - freiwilliges soziales Jahr

Habe ich während eines freiwilligen sozialen Jahres Anspruch auf Unterhalt gegen meine Eltern?
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Martin Vogel, Schwerin, Scheidungsanwalt

Viele bereits volljährige Kinder wissen nach Beedigung der allgemeinen Schulpflicht bezw. nach Absolvierung der Schule nicht, welchen Beruf sie erlernen wollen oder sie wissen es, müssen aber aufgrund des Numerus Clausus eine Wartezeit absolvieren oder wissen genau, dass sie etwas für die Gemeinschaft tun wollen. Die Frage des Unterhaltsanspruchs während eines freiwilligen sozialen/ ökologischen Jahres ist – da eine Entscheidung des Bundesgerichtshof noch nicht vorliegt - nach wie vor streitig. Teilweise wird ein Unterhaltsanspruch generell zugesprochen, teilweise nur, wenn dies dem beruflichen Fortkommen dient, gleichsam einer mehrstufigen Ausbildung in der Pflege mit anschließendem Studium der Medizin. Nachfolgend der Stand der Rechtsprechung:

AG Neuss, Beschluss vom 30.10.2012 - 46 F 187/12

Ein volljähriges Kind hat während eines freiwilligen sozialen Jahres beim Roten Kreuz, das als Orientierungsphase für ein beabsichtigtes Mediinstudium dient, Anspruch auf Ausbildungsunterhalt.

Aus den Gründen:
…. „Zwar ist dieses freiwillige soziale Jahre im vorliegenden Fall keine Voraussetzung für die Aufnahme des Medizinstudiums dar. Die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres beim Roten Kreuz ist jedoch als Orientierungsphase für die Aufnahme des Medizinstudiums anzusehen. Dieses Medizinstudium hat der Antragsteller nunmehr aufgenommen. Indem der Antragsteller die Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert hat, erlangte er Erfahrungen im Umgang mit kranken und verletzten Menschen. Dadurch konnte er feststellen, ob ihm eine medizinische Tätigkeit überhaupt liegt. „
AG Berlin-Pankow/Weißensee, Beschluss vom 09.02.2012 - 18 F 9113/11
Die Antragstellerin hat nach Aktenlage während der Absolvierung des freiwilligen sozialen Jahrs keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Antragsgegner.

Gründe:
„ Die Beklagte ist volljährig. Damit ist sie grundsätzlich zunächst selbst erwerbspflichtig, es sei denn, es ist Ausbildungsunterhalt geschuldet. Dies setzt voraus, dass die Beklagte sich in einer Ausbildung befindet, die sie unter Zubilligung einer gewissen Orientierungsphase fleißig, zielstrebig und zielgerichtet angeht und ggf. in der gebotenen Zeit abschließt. Dies kann jedoch nach dem Vorbringen der Beklagten nicht festgestellt werden.
Sie hat im September 2010 Ihr Abitur erworben und absolviert ab September 2011 ein freiwilliges soziales Jahr. Sie bringt vor, dass sie sich in der Orientierungsphase befindet und das freiwillige soziale Jahr für ein mögliches späteres Studium die Zugangsvoraussetzungen verbessert bzw. erst schafft, wobei sie hierzu nicht im einzelnen vorträgt. Die Antragstellerin trägt insbesondere nicht vor, worin ihr Konzept besteht. Sie ist jedoch auch verpflichtet, sich eine Ausbildung angedeihen zu lassen, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht, worüber sich aber mangels Vortrags kein Bild machen lässt.“

Anmerkung: Dieses Verfahren wurde offenbar verloren, da das Kind dem Gericht keinen schlüssigen Ausbildungs-und Lebensplan schilderte

OLG Celle, Beschl. v. 6. 10. 2011 10 WF 300/11

Volljährige Kinder können während des Freiwilligen Sozialen Jahres auch dann einen Unterhaltsanspruch haben, wenn dies nicht zwingende Voraussetzung für einen bereits beabsichtigten weiteren Ausbildungsweg ist.

Gründe:
„ Gemäß § 1610 II BGB erstreckt sich der Unterhaltsanspruch eines Kindes auf die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Die Eltern schulden dem Kind eine seiner Begabung angemessene Ausbildung, die die Perspektive einer späteren eigenständigen Finanzierung des Lebensunterhalts biete…………………..
……stärker kommt der Ausbildungszweck in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck: So wird in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung hervorgehoben, dass die Jugendfreiwilligendienste „Orte informeller Bildung“ sind und dass die Freiwilligen „neben beruflicher Orientierung und Arbeitserfahrung … wichtige personale und soziale Kompetenzen (erwerben), die als Schlüsselkompetenzen auch die Arbeitsmarktchancen verbessern können“ (BT-Dr 16/6519, S. 11). Der Jugendfreiwilligendienst wird als „ein an Lernzielen ausgerichteter Bildungsdienst“ angesehen (BT-Dr 16/6519, S 12). Auch in der Stellungnahme des Bundesrats wird betont, die Freiwilligendienste dienten der Verbesserung sozialer Kompetenzen und zur Förderung der Bildungs- und Beschäftigungsfähigkeit. Der Schwerpunkt der Durchführung dieser Maßnahme liege auf der Jugendbildung (BT-Dr 16/6967, S. 3?f.). In den Ausschussberatungen wurde als Ziel der neuen Regelungen genannt, den Freiwilligendienst stärker als Lerndienst auszugestalten und die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung und das Selbstbewusstsein junger Menschen zu stärken sowie die beruflichen Chancen gerade von benachteiligten Jugendlichen (z. B. mit Migrationshintergrund) zu verbessern (BT-Dr 16/8256, S. 21). Diese Ziele fanden ihren Niederschlag in den letztlich Gesetz gewordenen Beschlüssen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Vor diesem Hintergrund kann nach Auffassung des Senats die Absolvierung eines Freiwilligen Sozialen Jahres nunmehr im Rahmen einer Gesamtausbildung zu einem Beruf auch dann als ein angemessener Ausbildungsschritt anzusehen sein, wenn – wie im vorliegenden Fall – bei Beginn dieses Ausbildungsabschnitts noch nicht feststeht, ob die Ausbildung später tatsächlich in einen sozialen Beruf münden und das Freiwillige Soziale Jahr sich somit konkret „auszahlen“ wird. Es spricht viel dafür, dass das Freiwillige Soziale Jahr schon deshalb grundsätzlich als angemessener Ausbildungsabschnitt angesehen werden kann, weil es geeignet ist, die Bildungsfähigkeit Jugendlicher zu fördern und ihre Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach Abschluss ihrer Ausbildung zu verbessern. Hinzu kommt, dass die pädagogisch begleitete praktische Tätigkeit in einer sozialen Einrichtung auch geeignet ist, den Jugendlichen Klarheit darüber zu verschaffen, ob sie sich für einen sozialen Beruf eignen. Das Freiwillige Soziale Jahr stellt sich damit auch als eine Orientierungsphase dar.“

OLG Naumburg, Beschluß vom 10. 5. 2007 - 4 UF 94/07

Nach bestandenem Abitur ist dem volljährigen Kind eine Orientierungsphase einzuräumen. Während eines längeren Zeitraums bis zur Erlangung eines Studienplatzes muss das volljährige Kind selbst für seinen Unterhalt sorgen. Ist ein freiwilliges soziales Jahr nicht Voraussetzung für ein Studium bzw. für eine Ausbildung, besteht während dieses Zeitraums kein Unterhaltsanspruch.

Gründe:

„Die Bekl. kann sich nicht darauf berufen, dass sie seit September 2005 ein freiwilliges soziales Jahr absolviert hat. Wenn die soziale Tätigkeit nicht als Voraussetzung für eine andere Ausbildung gefordert wird, kann sie unterhaltsrechtlich nicht als Ausbildung anerkannt werden. Schon deshalb kann das volljährige Kind während dieses Jahres keinen Unterhalt verlangen . …………… Dem Vortrag der Bekl., das freiwillige soziale Jahr habe der Vorbereitung eines beabsichtigten Medizinstudiums gedient, kann nicht gefolgt werden. Denn die Bekl. hat sich nicht nur für ein Studium der Medizin, sondern auch für ein Studium der Sport-, Sozial- und Erziehungswissenschaften beworben. Letztendlich hat sie zum 1. 4. 2007 eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in G. angetreten. Da damit das freiwillige soziale Jahr lediglich zur Überbrückung der Wartezeit auf einen Studien- bzw. Ausbildungsplatz diente, muss die Bekl. während der Wartzeit selbst für ihren Unterhalt sorgen. „

OLG Schleswig, Beschluss vom 09.10.2007 - 15 WF 214/07, BeckRS 2008, 6851

Die Antragstellerin hat das Recht und die Pflicht , eine ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Ausbildung aufzunehmen, sie hat diese zielstrebig durchzuführen. Der Antragsgegner hat die Pflicht, die Antragstellerin während dieser Zeit zu unterhalten. Im Hinblick darauf, dass in der Vergangenheit Unterhalt nicht geleistet worden ist, die Antragstellerin nunmehr durch Ableistung des (Berufs vorbereitenden) freiwilligen sozialen Jahres die begründete Aussicht auf einen Ausbildungsplatz hat und sie während dessen teilweise Einkünfte erzielt, setzt die Unterhaltspflicht ein.

Gründe:

„Unabhängig davon, ob die früher begonnenen Ausbildungen verschuldet abgebrochen wurden - hinsichtlich der Ausbildung beim Rechtsanwalt ist das jedenfalls der Fall -, hat der Antragsgegner unstreitig in der Vergangenheit keinen Unterhalt gezahlt. Die Antragstellerin hat das Recht - und die Pflicht -, eine ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Ausbildung aufzunehmen, sie hat diese zielstrebig durchzuführen. Der Antragsgegner hat die Pflicht, die Antragstellerin während dieser Zeit zu unterhalten. Im Hinblick darauf, dass in der Vergangenheit Unterhalt nicht geleistet worden ist, die Antragstellerin nunmehr durch Ableistung des (Berufs vorbereitenden) freiwilligen sozialen Jahres die begründete Aussicht auf einen Ausbildungsplatz hat und sie während dessen teilweise Einkünfte erzielt, setzt die Unterhaltspflicht ein. „

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.3.2019 – 3 WF 140/18

Die Absolvierung des freiwilligen sozialen Jahres kann auch dann im Rahmen einer Gesamtausbildung als angemessener Ausbildungsabschluss angesehen werden, wenn zu Beginn noch nicht feststeht, ob die erworbenen Erfahrungen in dem angestrebten sozialen Beruf münden.
Liegt die Tätigkeit während des sozialen Jahres nahe an der erstrebten Ausbildung (hier: zur Operationsschwester), hat der Unterhaltspflichtige diese Verlängerung der Gesamtausbildungszeit hinzunehmen.
Die Ausbildungsvergütung, die ein minderjähriges Kind bezieht, ist nach Abzug von ausbildungsbedingten Mehraufwendungen nur zur Hälfte auf den Barunterhalt anzurechnen.

Gründe:

„Die vom AG vertretene Auffassung, während der Absolvierung eines freiwilligen sozialen Jahres bestehe nur dann ein Unterhaltsanspruch, wenn es sich dabei um die notwendige Voraussetzung für ein beabsichtigtes Studium oder eine beabsichtigte Ausbildung (für einen sozialen Beruf) handelt (vgl. OLG Naumburg, NJW-RR 2007, 1380 Rn. 7; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1994, 1225; Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl., § 2 Rn. 489), entsprach in der Vergangenheit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur.
11b) Nach Wertung des Senats ist indessen diese Rechtsauffassung insbesondere unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intentionen und Zielrichtungen des am 1.6.2008 in Kraft getretenen „Jugendfreiwilligendienstegesetz vom 16.5.2008“ überholt (so ausdr. auch MüKoBGB/Born, 7. Aufl. 2017, § 1610 Rn. 208 Fn. 591). Der Senat schließt sich damit der aktuell vorherrschenden neueren obergerichtlichen Rechtsprechung an, die – wenngleich teilweise mit gewissen Einschränkungen – den Anspruch von Ausbildungsunterhalt des Kindes in Anschluss an die Beendigung der Schulausbildung für die Zeit der Ableistung eines freiwilligen sozialen (oder ökologischen) Jahres nicht mehr davon abhängig macht, dass dieses zwingende Voraussetzung für die geplante Ausbildung oder das angestrebte Studium ist (vgl. OLG Celle, NJW 2012, 82 = FamRZ 2012, 995 = MDR 2012, 33 Rn. 6?f.; OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.2015 – 1 WF 296/14, BeckRS 2015, 12451 Rn. 15?ff. mAnm Viefhues, PR-FamR 22/2015 Anm. 5; ) „

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Martin Vogel, Scheidungsanwalt in Schwerin zum Thema Unterhalt freiwilliges soziales Jahr";s:5:"style";s:13:"cms_paragraph";}